Von Ralph von Rawitz.
in: „Der Deutsche correspondent” vom 24.05.1903
Die Geheimräthin von Bardolff warf noch einen prüfenden Blick auf ihre Toilette und streifte die grauen Handschuhe über die Hand. Dann schritt sic auf die junge Dame zu, welche am Flügel ein Chopinsches Nocturno spielte.
„Der Chopin hat es Dir angethan, wie es scheint! Ich weiß nicht, mir haben seine Sachen nie sehr gut gefallen!”
„Aber Tantchen! Wenn Du nur gestern die Duncan gesehen hättest, zu dieser Musik — wahrhaftig göttlich!”
„Kleine Schwärmerin! Nun meinetwegen, bleibe bei Deinem Nocturno. Ich will indessen einen nothwendigen Gang machen. In einer Stunde bin ich wieder da.”
Frau v. Bardolff nickte freundlich und schritt aus dem Salon. Erna von Heydestett spielte noch ein. zwei Male ibren Chopin, dann legte sie die Noten bei Seite. „Der Bazar am fünfzehntcn — also heute — was mir dabei einfällt: Morgen ist ja Adelheids Geburtstag! Und ich habe ihr überhaupt noch nicht geschrieben! Das soll aber jetzt sofort nachgeholt werden!”
Sie setzte sich an den Schreibtisch ihrer Tante, nahm einen wappengeschmückten Briefbogen und tauchte die Feder ein.
Liebste Heide!
Nun bin ich schon acht Tage hier in Berlin und habe Dir noch nicht ein einziges Mal geschrieben. Das ist recht häßlich von mir, und ich will das Versäumte sofort gut machen! Also vor Allem: Herzlichste Glückwünsche! Gesundheit und alles Gute! Hoffentlich bringt Dir der Geburtsengel, was Du Dir gewünscht hast: das bewußte Dogcart, die Ballrobe und von einem gewissen Jemand eine Kleinigkeit. Ich werde morgen den ganzen Tag an Dich denken! Mir geht es sehr gut. Onkel und Tante Geheimrath sind reizend zu mir. Jeden Abend sind wir im Theater oder zum Ball. Heute ist ein großer Bazar, da werde ich mit Tante Thee verkaufen, in einer japanischen Bude. Morgen ist eine große Kommitteesitzung bei, der Herzogin von Tangermünde — da geht nur Tante allein. Onkel und ich werden wohl auskneipen, ich möchte so furchtbar gern einmal in ein Ueberbrettl. Ich werde Dir genau schreiben, wie es war. Ich wünschte. Du könntest auch einmal hier sein, dann wollten wir Beide — — ”
Baroneß Erna wurde unterbrochen, denn nach leisem Anklopfen trat der Diener ein.
„Die gnädige Frau ist wohl nicht zu Hause?”
„Nein, die gnädige Frau ist ausgegangen. Wieso?”
„Es ist eine Dame da.”
„Wer ist es denn?”
Der Diener überreichte auf silbernem Tablett eine Visitenkarte. Erna nahm das zierliche Blatt und las:
Tilly Wegner.
Mitglied des Goethe-Theaters.
Tilly Wegner — die berühmte Schauspielerin — das traf sich gut!
„Ich lasse bitten!”
„Sehr wohl, gnädiges Fräulein!”
Nach einigen Minuten trat die gefeierte Künstlerin ins Zimmer, anspruchslos in ein graues Tuchkostüm gekleidet, und trotz aller Einfachheit doch das Bild einer eleganten Dame.
„Verehrtes Fräulein — meine Tante ist leider nicht zu Hause — darf ich Sie bitten. Platz zu nehmen? Vielleicht kann ich etwas bestellen?”
„Ich komme, um der gnädigen Frau das Programm zu einem großen Wohlthätigkeitsfest zu überbringen, das Anfang März in der Philharmonie stattfinden soll und bei dem sie ihre Mitwirkung zu versprechen die Güte hatte.”
„Da kann ich leider nichts weiter thun, als Ihnen die Abgabe des Programms zu versprechen. Es wird meiner Tante sehr leid thun, Sie verfehlt zu haben. — So unangenehm es für Sie ist, Fräulein Wegner, so sehr freue ich mich dennoch. — Ist es mir doch vergönnt, nun Ihre Bekanntschaft zu machen, nachdem ich Sie bereits par Distance bewundert habe.”
„Sie haben mich öfters gesehen? Worin, wenn ich fragen darf?”
„Leider nur in einer Rolle, als „Cyprienne”; ich bin nur zum Besuch in Berlin! Aber ich interessire mich fabelhaft für Alles, was das Theater angeht, namentlich für die Künstlerinnen. Das ist so eigenartig und anziehend. Schade, daß man die Damen außerhalb der Bühne nie kennen lernt. Es müßte Bälle oder so etwas geben, wo man sich trifft.”
„Die giebt es auch; und wenn es wirklich Ihr Ernst wäre, hätten Sie schon morgen Gelegenheit dazu. Bei Kroll findet der „Freche Rattenball” statt, der von ersten Bühnenmitgliedern arrangirt ist!”
„Ach Gott, wie reizend. — Wie gelangt man denn dazu ?”
„Sehr einfach, indem man ein Billet kauft. Die Schwierigkeit dürfte für Sie anders liegen — Ihre Tante wird schwerlich die Erlaubniß ertheilen.”
„Aber warum nicht?”
„Warum nicht? — Weil es nicht Sitte ist, daß die weiblichen Mitglieder unserer Aristokratie zu dem sterblichen Volk der Mimen herabsteigen.”
„Und wäre gar keine Möglichkeit? Könnte ich mich nicht irgendwie einschmuggeln? Tante hat morgen gerade Kommitteesitzung — dann kommt sie erst spät nach Hause! — Ist es denn im Kostüm ?”
„Gewiß, Kostüm und Maske !”
„Ach, das wäre ja prächtig — sind Sie auch da. Fräulein Wegner?”
„Ja, ich habe zugesagt!”
„Und könnten Sie mich nicht mitnehmen?”
„Wohin denn, liebes Kind?” unterbrach eine Männerstimme die Unterhaltung; der Geheimrath war unbemerkt eingetreten und ließ sich nun den Damen gegenüber nieder.
Die Baroneß beichtete ihren Herzenswunsch: „Ich würde so furchtbar gern, Onkelchen!”
Der alte Herr, dem man die Fünfziger nicht ansah, schüttelte das wohlkonservirte Haupt und winkte ab. Lächelnd hörte die Schauspielerin dem Gefecht zwischen Onkel und Nichte zu, bis der Geheimrath an sie das Wort richtete:
„Es geht doch wirklich nicht, nicht wahr Fräulein Wegner?”
„Gewiß nicht — es sei denn, daß Sie selbst mitkämen!”
„Ich selbst ” rief der alte Herr mit komischem Schreck, „um des Himmelswillen!”
„Aber im Kostüm, Onkel Adalbert, im Kostüm! Kein Mensch würde Dich erkennen und vor der Demaskirung verschwinden wir natürlich! Und Tante hat morqen Sitzung bei Ihrer Durchlaucht, das dauert bis nach Mitternacht.”
Der Geheimrath machte allerlei Einwände, aber Erna konnte so niedlich bitten, und Fräulein Wegner lächelte so ironisch, daß er schließlich nachgab. „Gut, sei es denn also! Aber unter einer Bedingung: Um halb 1 Uhr geht's nach Hause!” —
Der Königssaal bei Kroll strahlte im hellsten Licht. In einer Ecke, hinter einer Flasche Mumm Extra Dry saß der Geheimrath, eine bärtige Maske vor dem Antlitz und folgte mit Aufmerksamkeit zwei Geishas, die Arm in Arm durch den Saal passirten.
„War ein Leichtsinn,” sagte er zu sich selbst, „hätte nicht nachgeben sollen! Nun will ich sie aber wenigstens im Auge behalten!”
Allein, der beste Vorsatz scheitert zuweilen, und als er einige Augenblicke die Augen abgewandt hatte, da waren seine Japanerinnen im Gewühl verschwunden. — —
„Wissen Sie, wer das ist, die beiden brünetten Herren ohne Maske, die gerade auf uns zukommen?” fragte Tilly Wegner ihre Gefährtin; „der links ist der Graf Egeldingen von den Gardekürassieren, der rechts Herr v. Stein von den 2. Gardedragonern. Sie werden uns sicher ansprechen!”
Und so geschah es: die Herren pürschten sich an Japans holde Kinder heran, und nach zehn Minuten saß das Kleeblatt in einer Nische bei schäumendem Trank. —
„Und nun bitte demaskiren!” sagte Egeldingen. — „eine der Damen habe ich schon erkannt, unsere süperbe Vertreterin erster Salondamen von Goethes heil'gen Brettern — Signora Tilly! Aber die Andere? Keine Idee!”
Erna wollte die Maske nicht ablegen, aber ehe sie es sich versah, hatte Herr von Stein die Seidenbänder mit gewandter Hand gelöst, und ihr geröthetes Antlitz erschien hinter der fallenden Hülle.
„Ei der Tausend unbekannt! Mir unbekannt, der ganz Berlin kennt,” sagte Egeldingen.
„Darf ich vorstellen,” fiel Tilly Wegner ein, „Graf Egeldingen. Baron Stein, Fräulein Erna Schultze, Operettendiva vom Hamburger Stadttheater.”
„Aeußerst angenehm! — Hamburg? Natürlich — Erna Schultze — Namen oft gehört! — Gnädigste sind wohl Gastspiel halber hier? In welcher Rolle darf man Sie denn bewundern? Wohl Mimosa San?”
„Um des Himmels willen, kein Fachsimpeln, Graf!” lenkte Tilly ab. „Wenn wir hier sind, wollen wir nichts von den Brettern hören. — Und nun die Masken auf, jetzt wird getanzt. Baronin Stein, Ihren Arm, Graf Egeldingen, Ihnen empfehle ich meine Freundin!”
Gleich darauf wirbelten die Paare durch den Saal; auf den Walzer folgte eine Quadrille, daran schlossen sich zwei weitere Tänze und, wie im Nu, war die Mitternachtsstunde überschritten. Erna hielt es nun an der Zeit, den Onkel aufzusuchen und ihren Partner, der immer feuriger wurde, zu verabschieden. Er war ganz außer sich, daß sie so früh das Fest verlassen wollte und auch ihr that es leid. Sein hübsches männliches Gesicht gefiel ihr sehr gut.
„Nein, nein. Herr Graf — ich muß — ohne Widerrede!”
„Erna, ich muß Sie wiedersehen — es koste, was es wolle!”
„Unmöglich!”
„Bestimmen Sie den Tag — wenn Sie wollen — morgen — übermorgen — nein, morgen nicht, da habe ich eine fade Gesellschaft bei einem Ministerialbonzen, der seine Nichte, ein Landgänschen, eintanzt.”
„Ei, ei,”, sagte Erna, „wer ist es denn?”
„Geheimrath v. Bardolffs., Voßstraße!”
Erna entzog ihm mit einem Ruck den Arm: „Sie sind morgen bei Bardolffs, Herr Graf?”
„Leider — aber übermorgen, schöne Frau! Geben Sie mir nur ein Atom Hoffnung! Ich lasse Sie nicht weg. — Ach Gott, wenn unsere Damen nur halb so hübsch wären, wie Sie!”
„Adieu, Herr Graf!”
„Kein Gedanke — Sie entkommen mir nicht! — Wenigstens nicht umsonst!”
„Und was verlangen Sie?”
„Wenn ich nun um einen Kuß bäte?”
„Den würden Sie nie erhalten!”
„Nun denn, ich bin nicht unbescheiden; aber die beiden Chrysanthemen, die Sie im Haar tragen, göttliche Diva, würden Sie die wohl mir zu Liebe missen können?”
„Gut denn! Graf, es sei! Ich will mit Ihnen einen Vertrag schließen. Sie bekommen die Blumen zum Andenken an diese Stunden. Aber Sie verpflichten sich dagegen zu zweierlei: Erstens mich sofort zu verlassen und mir nicht zu folgen. Zweitens: Wenn wir uns je im Leben wieder begegnen sollten, mich nicht zu kennen!”
„Aber reizende Tochter des Mikado — — ”
„Mich nicht zu kennen!”
„Also, sei es denn!”
Sie zog die Blumen aus dem dichten Haar und er küßte die schöne Hand, die sie ihm darbot.
Und am nächsten Tage zuckte in seinem, zuckte in ihrem Gesicht keine Muskel, als der Geheimrath vorstellte: „Gestatte, liebes Kind, daß ich Dir den Grafen Egeldingen präsentire — einen unserer liebenswürdigsten Offiziere.”
„Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Graf!”
„Gnädigste Baroneß!”
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